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Kurzgeschichten

 

Jaroslav Hasek (1883-1923) - Eine Militärlieferung

Um endlich dem langjährigen Wunsch zahlreicher Gewerbetreibender und Kaufleute hinsichtlich der Vergabe von Staatsaufträgen zu entsprechen, veröffentlichte das Marineamt Pola im Amtsblatt folgendes Inserat:

Das k. u. k. Marineamt Pola schreibt hiermit einen Konkurs für die Lieferung von 500 Nähnadeln und 1200 Stiefelzwecken im Jahre 1912 aus. Bewerber mögen bei der k. u. k. Kreishauptmannschaft ihres Wohnortes, wo sie gegen Bezahlung von 20 Hellern die gedruckten Bedingungen erhalten, eine Sicherheit von 50 Prozent des Lieferwertes hinterlegen.

Herr Jan Fikar dachte über diese Lieferung lange nach, entschloß sich schließlich aber doch, sich um sie zu bemühen. Er war ein guter Kaufmann und überschlug: An fünfhundert Nähnadeln verdiene ich dreißig Heller, an zwölfhundert Zwecken achtzig Heller. Die gedruckten Bedingungen kosten zwanzig Heller, ich verdiene also neunzig Heller. Aber was tut's, wenigstens komme ich ins Geschäft!
Es war wirklich äußerst auffällig, dass gerade jene, die früher so ungestüm nach Staatsaufträgen verlangt hatten, jetzt schwiegen oder höchstens sagten: "Das ist ein Skandal, da hat sich der Staat wieder einmal ausgezeichnet!"
Herr Fikar aber lächelte und dachte bei sich: Solche Schlauberger! Es ist ja für das nächste Mal!
Er ging also auf die Kreishauptmannschaft, erlegte dort eine Sicherheit von fünfzig Prozent des Betrages, auf den das Angebot lautete, und zwar zwei Kronen zwanzig Heller, und kaufte die gedruckten Bedingungen.
In den Bedingungen stand:

Nähere Informationen erhalten die Bewerber in der Militätkommandatur, wo sie unter Vorlage der Quittung über die erlegte Sicherheit ein entsprechend gestempeltes Gesuch einreichen müssen.

Herr Fikar ging zu seinem Rechtsberater und erfuhr, daß Gesuche, die Staatsaufträge betrafen, auf jeder Seite mit einer Zwei-Kronen-Stempelmarke zu versehen seien.
Nun befand er sich in einem inneren Widerspruch zu seinem praktischen Sinn. Das Gesuch würde zweiseitig sein, also hatte er vier Kronen für die Stempelmarken zu bezahlen. Die Ware, um deren Lieferung er sich bemühte, kostete ihn drei Kronen fünfzig Heller, die Ausgaben betrugen vier Kronen für Stempel und zwanzig Heller für die Bedingungen. Für die gelieferte Ware würde er vier Kronen vierzig Heller erhalten. Sein Verlust bei der Lieferung betrug also drei Kronen dreißig Heller.
Aber Herr Fikar dachte an die Zukunft. Wann würde sich ihm wohl wieder die Gelegenheit bieten, für lumpige drei Kronen dreißig Heller Staatslieferant zu werden? Ein solcher Glücksfall käme nicht so schnell wieder. Bei einer künftigen Lieferung würde er sich schon wieder schadlos halten.
Er schrieb also das Gesuch, klebte die geforderten Stempelmarken darauf und trug es zur Militärkommandatur, wo er in der Kanzlei nicht gerade freundlich empfangen wurde. Man bedeutete ihm, er solle künftig nicht so lange anklopfen, sondern gleich eintreten; was man in Zivil mache, dürfe man sich in der Kaserne nicht erlauben. Dann ließ man ihn warten.
Nach einer Weile sagte der diensthabende Unteroffizier, es könne geraucht werden. Dies sagte er so bedeutungsvoll, daß Herr Fikar um die Erlaubnis bat, Zigarren holen zu dürfen. Er kehrte mit zehn Virginias zurück und sagte, er selbst rauche nicht, aber vielleicht dürfe er sie auf dem Tisch liegenlassen. Der Unteroffizier nickte Gewährung und gab dem Herrn Fikar bekannt, er müsse zur Statthalterei gehen, hier auf der Kommandatur bekäme er nur eine Bestätigung über sein Gesuch auf Zuteilung einer Militärlieferung; falls er die Lieferung erhalte, werde ihm das Geld sechs Monate nach Eingang der Ware ausgezahlt.
Herr Fikar vermerkte also bei dem Posten "Militärlieferung" eine zusätzliche Ausgabe von einer Krone zehn Hellern für Virginias.
"Es ist eben für künftige Fälle", tröstete er sich, begab sich wohlgemut zur Statthalterei und ließ das Personal in seinem Geschäft inzwischen allein wirtschaften, ohne irgendwelche diesbezügliche Zahlen auf das Verlustkonto dieser Lieferung zu buchen.
Auf der Statthalterei wurde das Gesuch mit der Begründung abgelehnt, es fehlten die erforderlichen Anlagen. Jeder, der sich um einen Staatsauftrag bewerbe, müsse eine ganze Reihe von Punkten nachweisen, die zeigten, daß ihm der Staat den Auftrag anvertrauen könne. Erstens müsse der Antragsteller seine Zahlungsfähigkeit nachweisen, zweitens, daß er die österreichisch-ungarische Staatsangehörigkeit besitze, drittens, daß er geistig gesund sei, viertens, daß er nicht wegen politischer Delikte oder wegen eines auf der gleichen Stufe damit stehenden, aus Gewinnsucht verübten Verbrechens bestraft worden sei. Wenn es sich um Zwecken und Nadeln handle, müsse außerdem der Nachweis über die vorausgegangene Schulbildung erbracht werden. Ferner wurde ihm mitgeteilt, daß bei Staatsaufträgen jene Kaufleute in erster Linie berücksichtigt würden, die verarmte Adlige oder gediente Unteroffiziere seien.
"Ich bringe alle Unterlagen bei", sagte Herr Fikar, "schließlich ist es ja für künftige Fälle!".
Sein erstes war, zum Polizeikommisariat zu gehen, um sich dort seine österreichisch-ungsarische Staatsangehörigkeit bescheinigen zu lassen. Es war schon Nachmittag, und daher wurde nicht mehr amtiert, nur ein verschlafener Polizeiwachtmeister saß in der Wachstube und rauchte seine Pfeife.
"Ich heiße, bitte sehr, Jan Fikar", sagte ehrerbietig der Bewerber um eine Militärlieferung.
Der Polizeiwachtmeister rieb sich die Augen: "Fikar, Fikar, an den Namen erinnere ich mich nicht. Herr Hejno, sperren sie den Mann in die Zelle!"
"Nein, das ist ein Irrtum", meldete sich Herr Fikar, "ich komme wegen einer Bestätigung, daß ich österreichisch-ungarischer Staatsangehöriger bin. Ich möchte nämlich an das Marineamt Pola fünfhundert Nähnadeln und zwölfhundert Schuhzwecken liefern."
Der Polizeiwachtmeister lächelte bedeutungsvoll und sagte:
"Setzen Sie sich einstweilen, der Herr kommt gleich." Dann ging er zum Telefon und ließ sich mit der Wohnung des Polizeiarztes verbinden: "Bitte sehr, hier ist ein Herr, der nicht richtig im Kopf ist."
"Ich komme sofort hinüber."
"Also, was fehlt Ihnen, mein Freund?" fragte der Polizeiarzt liebeswürdig, als er die Wachstube betrat. "Sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben!"
Herrn Fikar glänzten vor Freude die Augen. "Ich möchte um eine Bestätigung bitten, daß ich österreichisch-ungarischer Staatsangehöriger bin. Es ist nämlich wegen fünfhundert Nähnadeln und zwölfhundert Zwecken. Ferner möchte ich um eine Bestätigung bitten, daß ich geistig gesund bin."
"Sie glauben also, Sie seien nicht irre?"
"Gott behüte, ich bin geistig völlig normal und brauche das nur wegen der Nähnadeln und der Zwecken für das Marineamt in Pola. Außerdem benötige ich den Nachweis, daß ich adliger Abstammung bin."
"Sie meinen, Sie seien ein Adliger?"
"Ja, bitte, ich stamme aus dem Geschlecht der Fikar z Trouzic. Ich wurde auch niemals wegen eines politischen Delikts bestraft. Es ist für die Statthalterei."
"Dann warten Sie doch eine Weile! Ich fahre mit Ihnen gleich selbst zur Statthalterei..."
Und man brachte ihn an einen Ort, wo die Tür hinter ihm zufiel und man ihm täglich drei heiße Bäder verabfolgte.
Herr Fikar geht seither nach jedem solchen Bad auf dem Korridor auf und ab und spricht laut vor sich hin: "Fünfhundert Nadeln, zwölfhundert Zwecken, österreichisch-ungarischer Staatsbürger, Marineamt Pola", und immer weiter und endlos weiter so: "Fünfhundert Nadeln, zwölfhundert Zwecken, eine Nadel, zwei Nadeln, drei Nadeln, nicht vorbestraft wegen politischer Delikte, eine Zwecke, zwei Zwecken, drei Zwecken, geistig völlig normal..."

letzte Änderung: 13.03.2005